
WERKE







Da bricht sich mitten im Realen das Surreale Bahn. Farbsäulen, Ufos oder Farbexplosionen stellen die Wahrnehmung in Frage. Ralf Brueck setzt neu zusammen, was er zuvor mit seiner analogen Plattenkamera auf Vier-mal-fünf-inch-Negativen abgelichtet hat. Immer häufiger kommt jedoch auch seine digitale Hasselblad zum Einsatz. Brueck dekonstruiert das entstandene Foto und gibt ihm mit digitalem Pinselstrich eine völlig andere Richtung. Er malt sozusagen virtuell um, was zuvor eine Wiedergabe der Wirklichkeit war. Seine Arbeitsschritte sind durchdacht und planvoll. Hinter diesem Vorgehen steht für ihn stets die Frage, was genau ein Bild ausmacht. „Was daraus entsteht, ist ein Bild und keine Fotografie mehr, also etwas Neues“, sagt der Künstler.
Ralf Brueck hat an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert, bei den Chronisten der Industriearchitektur, Bernd und Hilla Becher und später bei Thomas Ruff, der selbst bei den Bechers in die Schule ging. Über seinen zweiten Professor sagt Brueck, er habe ihm gezeigt, wie wichtig die eigene künstlerische Haltung bei der Arbeit sei. Sich selbst treu zu bleiben, ist für ihn seither oberste Prämisse.
Vorbilder waren ihm neben seinen Düsseldorfer Lehrern auch amerikanische Lichtbildner wie William Egglestone und Stephen Shore. Heute fühlt er sich dagegen eher von Malern wie Lucian Freud, Raymond Pettibon oder Jonathan Meese beeinflusst, wenn auch nicht unbedingt offensichtlich, da sich seine Werke von denen der genannten Künstler stark unterscheiden. Dennoch wundert es den Betrachter nicht: Die Werke aus der „Dekonstruktions“-Serie kommen sehr malerisch daher.
Die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Fotografie-Szene verschaffte Ralf Brueck die Erkenntnis, dass deren Vertreter viel freier arbeiten als es Brueck in der Düsseldorfer Photoschule möglich gewesen war. Dazu meinte der Künstler: „Ich wollte einfach die Grenzen des Fotografiebegriffs, wie er für mich gilt, erweitern […].“ Gelungen ist ihm dies, indem er begann, moderne Bildbearbeitungstechniken einzusetzen. Auf diese Weise wird die gescannte analoge Aufnahme mit verschiedenen Tools immer weiter bearbeitet und ihrer optischen Bestimmung zugeführt. „Diese Tools“, erläuterte Brueck, „sind ja genauso wie ein Maler verschiedene Tools hat, indem er Spachtel benutzt, mehrere Male Farbe aufträgt, um sein Bild dahin zu bringen, wie er es gerne hätte.“ Aus der Fotografie ist letztendlich ein Bild im Sinne eines Gemäldes geworden.
Manche Motive sucht Brueck, andere haben ihn gefunden. Gemeinsam ist all diesen Arbeiten die übergeordnete Rolle, die Architektur darin spielt. Das liegt an Bruecks Erkenntnis, dass das Leben des modernen Menschen neben sozialen Faktoren immer stärker „von urbaner Architektur bestimmt wird“.
Herrschte in seinen frühen Fotografien noch ein konzeptioneller Ansatz (z. B. Fotos von Nachkriegs-Kircheninterieurs im Rheinland), kam er später zu eher mit Farbe und Form experimentierenden Bildern. Bruecks Arbeiten, auf denen Menschen selten zu sehen sind, einer bestimmten Gattung zuzuordnen, würde ihnen nicht gerecht werden. Weder sind sie reine Architekturfotografie, noch bloße Landschaftsbilder, noch Detailaufnahmen – obwohl sie deren Elemente beinhalten. Vielmehr mischen sich in Bruecks Aufnahmen dokumentarische und inszenierte Momente: auf den ersten Blick bildet Brueck die genaue Realität ab. Auf den zweiten Blick geschieht dies aber auf eine sehr artifizielle Weise, da sich der vermeintliche „Schnappschuss“ schnell als gezielt austarierte Bildkomposition entpuppt. Werden Bildausschnitte gezeigt, sind es Fokussierungen auf Details, die – wären sie im Gesamtzusammenhang abgebildet – mitunter unscheinbar wären und nicht sonderlich beachtet würden. Durch die Hervorhebung entwickeln sie eine eigene Ästhetik, die der Betrachter so als „abstrakte“ innere Wirklichkeit wahrnimmt. Alternativ kann er sich über sie hinwegsetzen und sich über die „echte“ äußere Wirklichkeit Gedanken machen. Oder er versucht, beides miteinander zu verknüpfen. Die Münchener Kunsthistorikerin Anna Wondrak resümiert, Brueck zeige „eine Schönheit der alltäglichen Dinge, für die wir in der Hektik des täglichen Lebens oftmals kein Auge mehr haben“.
Bei Ralf Brueck ist Natur nie gleich Natur. Er verfärbt, verformt, verstellt sie, lässt sie schön, aber auch bedrohlich erscheinen. Seine Werkserie „Synthese“ etwa (öffentlich gezeigt 2019) besteht aus landschaftlichen, geologischen und floristischen Aufnahmen, die nach seiner Methode verfremdet wurden. Mit einer „waghalsigen Farbpalette“ erzeugt er „ungesehene Vorstellungswelten“, die stark in Richtung Künstlichkeit tendieren und wiederum der Popkultur nahe stehen. Gezeigt wird hier eine Freiheit der Fotografie als Kunst mit einem an den Expressionismus erinnernden Blick, der die Farbgebung an die emotionale Wirkung anpasst.
Ein Tag mit Ralf Brueck,
Die gefährliche Schönheit der Natur.
Ralph Goertz (Hrsg.): Ralf Brueck. Dekonstruktion, Distortion, DAF, Timecapsules. Beiträge von Stefan Gronert, Candida Höfer, Sabine Maria Schmidt. Wienand, Köln 2016
Ralf Brueck (Wikipedia)